„Was ich selber denk und tu, trau ich jedem andern zu“
Markus Bäcker findet es 1976 am Rand von Ost-Berlin ziemlich scheiße. Es stinkt nach dem Chemiewerk, andauernd rattern Züge vorbei, die Mutter treibt sich bei den Afrikanern herum, und in der Schule kennt er niemanden. Dann begegnet er Nilowsky, dessen Vater die Kneipe in Pankow betreibt, dessen Vater säuft und den Sohn verprügelt. Nilowsky ist eigensinnig, ein paar Jahre älter, herausfordernd und entschlossen, eine Tages Carola zu heiraten. Markus ist hingerissen von dem rauen Typen, der unberechenbar ist und ihn ständig an die Grenzen bringt – genauso wie von Carola, die für immer dreizehn bleiben will, obwohl sie längst älter ist. Eine seltsame Dreiecksgeschichte entspinnt sich, die weder eine Liebesbeziehung noch eine richtige Freundschaft ist. Die Faszination, die Nilowsky auf Markus ausübt, ist auch Jahre später ungebrochen, als die Mauer fällt und die Jugendlichen erwachsen geworden sind – aber nicht glücklicher …
Torsten Schulz hat es mir mit seinem zweiten Roman Nilowsky nicht unbedingt leicht gemacht. Im ersten Drittel weckt er meine Neugier mit seiner Geschichte über einen Außenseiter, zu dem sich ein zweiter gesellt – mit einem dritten im Schlepptau. Ich finde das Setting interessant: Berlins Vorstadt, giftige Dämpfe, viel Alkohol, kaum Perspektiven. Auftritt Underdog: Nilowsky ist ruhelos, ein vernachlässigtes Kind, ein ratloser Jugendlicher, bald auch eine Waise. Der Autor macht ihn zu einer widersprüchlichen und durchaus faszinierenden Persönlichkeit mit einer anstrengenden Art zu reden, er zeigt Nilowsky außen cool und selbstsicher, innerlich orientierungslos und verloren. Die, die ihm etwas bedeuten, sterben ihm weg, und die Liebe zu Carola, sein einziger Fixpunkt, gestaltet sich – wie wohl jede Liebe – schwierig. Ab der Hälfte entgleitet mir der Roman jedoch langsam, es kommen nicht die Abenteuer, die ich erwartet habe, sondern die Wege trennen sich, der einst enge Kontakt wird bedeutungsloser, die drei lassen einander nicht ganz los, haben aber auch nicht jene Wirkung aufeinander, die der Anfang mir versprochen hat. Die Geschichte zerfällt in meinen Händen, verliert an Konsistenz und an Spannkraft, was ich naturgemäß schade finde. Als Markus und Nilowsky einander verlieren, verliert Torsten Schulz mich. Geschickt hat er die geschichtlichen Umstände – vor allem rund um den Fall der Mauer – in den Roman eingebaut, aber sie bleiben Rahmenbedingungen mit wenig Auswirkungen auf die Figuren. Letztlich war dieses Buch für mich wie ein gutes Nudelgericht: Nicht das Feinste, was es gibt, aber es stillt für eine Weile den Hunger.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: der Zug, die Gleise, ja – aber das Huhn?!
… fürs Hirn: eine ungewöhnliche Freundschaft, eine Art der Abhängigkeit und ein bisschen Politik.
… fürs Herz: wo die Versuche zu lieben scheitern, bleibt nur Gleichgültigkeit.
… fürs Gedächtnis: leider nicht allzu viel.
Nilowksy von Torsten Schulz ist erschienen im Klett-Cotta Verlag (ISBN 978-3-608-93971-2, 285 Seiten, 19,95 Seiten).