Handelnde Personen:
Anna, verheiratet mit Stan, Mutter von zwei Kindern
Louise, verheiratet mit Romain, Mutter von zwei Kindern
Thomas, Psychotherapeut, geschieden
Yves, Schriftsteller, locker liiert
Der Liebestanz:
Anna ist gebunden an Stan. Dann trifft Anna Yves und – milde frustriert von ihrem Dasein als Ehefrau und Mutter – verliebt sich. Sie spürt jenes wunderbare Kribbeln, das sie im Alltag vermisst. Yves spürt es auch. Er ist vergeben, aber er trennt sich ohne Zögern von seiner Freundin, mit der ihn kein Ring verband. Thomas ist Annas Therapeut. Auf einer Party trifft Thomas Louise und ist sofort hingerissen. Louise mag Thomas ebenfalls, ist aber verheiratet mit Romain. Was sie allerdings nicht daran hindert, sich bereitwillig dieser Lust hinzugeben, die nur eine frische Leidenschaft bringen kann. Beide Männer sind verfügbar, beide Frauen nicht. Doch das Schicksal knüpft neue Bande, zeigt den Liebenden Alternativmöglichkeiten und lässt den Zufall walten: Eine Ehe wird beendet, die andere nicht.
Ist es tatsächlich unser Herz, das entscheidet, wen wir lieben, oder sind es nicht vielleicht unsere Füße, weil sie uns dorthin bringen, wo wir jemandem begegnen, den wir lieben können? Der französische Autor Hervé Le Tellier zeigt in Kein Wort mehr über Liebe, wie schnell und leicht wir uns zu jemandem hingezogen fühlen – und wie unverbindlich dieses Gefühl ist. Wer mit wem zusammen ist, scheint eine Laune der Natur, der Hormone, des Zufalls, und hätten wir nicht das einengende Konzept der Ehe erfunden, wir würden noch viel freier mit unseren Trieben umgehen. Ich folge den Betrügern durch Paris, den klappernden Schritten der Ehefrauen auf dem Weg zu ihren Liebhabern, ich bin stumme Zeugin ihrer heimlichen Stelldicheins und bin zwar nicht überrascht, wie bereitwillig sie sich auf eine Affäre einlassen, aber doch verblüfft, dass es in beiden Fällen gleich um alles geht: neue Liebe, das Kennenlernen der Kinder, Scheidung. Ich hatte Sex erwartet, leidenschaftlichen, aber unbedeutenden Fremdsex, ein bisschen Geflirte und Bestätigung fürs Hausfrauenego – aber ich bekomme Verliebtheit, neue Lebenspläne, Überlegungen, wie der finanzielle und räumliche Wechseln von einem Mann zum anderen vonstattengehen könnte. Dieser Widerspruch lässt mich perplex zurück, denn während Hervé Le Tellier seine zwei Frauen ganz nonchalant weiterreicht, als sei nichts dabei, bindet er sie gleich an ihre Liebhaber. Schön ist, dass ich es im Roman mit intelligenten Menschen zu tun habe, die das gesamte Thema sowie ihre eigene Situation sehr reflektiert angehen – und dass der Autor hinreißende Worte für die vielen Facetten der Liebe findet.
Diese Leichtigkeit, mit der Herzen gebrochen werden und neue Paarungen zusammenfinden, hat etwas typisch Französisches beziehungsweise bedient meine Klischeevorstellung vom typisch Französischen. Niemand hat ein exklusives Recht auf einen anderen, und ein Ring am Finger ist letztlich nur Schmuck. Dennoch wirkt es in diesem Buch, als würden sie es sehr ernst nehmen mit der Liebe, die Franzosen. Hervé Le Tellier hat einen pfiffigen, intelligenten und anspruchsvollen Roman geschrieben über die Unfähigkeit des Menschen, einem anderen treu zu sein. Gefüllt mit allerhand Wissenswertem zu Literatur und Kultur, ist dies ein Buch, das zeigt, dass wir nicht ewig verliebt bleiben können, dass uns die Leidenschaft abhandenkommt, dass sich prickelnde Alternativen bieten, denen die Monogamie wenig entgegensetzen kann. Deshalb ist Kein Wort mehr über Liebe ein Roman für alle, die nicht an die Monogamie glauben. Und mehr noch für jene, die es tun.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein sehr, sehr schönes Cover. Auch den Titel finde ich grandios.
… fürs Hirn: viel Stoff zum Nachdenken über Moral, unsere Gesellschaft und die Macht der Hormone.
… fürs Herz: der Verdacht, dass es nicht die eine große Liebe in unserem Leben gibt, sondern viele – und dass wir bei der einen Liebe nur bleiben, wenn wir die anderen nicht finden.
… fürs Gedächtnis: Lieblingszitat: „Bücher sind wie die Tage des Lebens. Sie folgen aufeinander, und man lernt von jedem einzelnen.“
“Kein Wort mehr über Liebe” las ich letzten Sommer im Urlaub am Meer: ein schönes, beeindruckendes Buch – und eine sehr gute, treffende Rezension!
Danke! Da hast du dir aber keine “leichte” Urlaubslektüre ausgesucht 🙂
Ach, ich mag gerne im Urlaub Bücher lesen, die den Blick weiten und einem was zu denken geben … und irgendwie passte das auch am Meer.
Witzig, was man sich über die Jahre für Klischees bzgl. anderer Nationen angeeignet. Ich kenne viele Franzosen aber, dass sie es sich mit der Liebe so leicht machen, habe ich nicht das Gefühl.
Scheint auf jeden interessant. Ich behalte das Buch im Kopf. Vielen Dank
Liebe Grüße
Die Bücherliebhaberin
Das glaube ich sofort! Ich kenne wenige “echte” Franzosen, und meine Klischeevorstellung stützt sich mehr auf Bücher und Filme, in denen die Franzosen immer viel essen, trinken und lieben 😉
Das Buch hatte ich schon zig Mal in der Hand.
Abgeschreckt hat mich bisher immer der relativ hohe Preis. Wenn es als richtiges TB kommt werde ich es mir holen.
Das ist ein guter Plan!