„Memory, that old trickster, is cleverer than us all“
„You’re always making plans“, sagt Lina zu Anil. „Because plans are how you tame the future“, antwortet er. Lina und Anil, deren Namen gegengleich sind wie ihre Seelen, lernen sich kennen, als sie beide Studenten in London sind und jung. Anil stammt aus einer reichen kenianischen Familie und will Architekt werden, Linas Eltern leben bescheiden, sie selbst steht unter der Obhut ihrer Tante und studiert Jura im letzten Jahr. Während Anil in Liebe auf den ersten Blick entbrennt, gibt Lina sich zurückhaltend – kann seinem Charme aber nicht allzu lange widerstehen. Und so entspinnt sich nicht nur eine sinnliche, wahnwitzige Liebesgeschichte, sondern auch ein dichtes Lügengespinst, in dem die beiden Verliebten sich immer mehr verfangen. Denn was Anil in seiner naiven Unbedarftheit und seiner Arroganz lange Zeit ignoriert, wird zunehmend zum Problem: Er ist nicht praktizierender Sikh, Linas Eltern dagegen sind strenge Muslime, für die eine Heirat der Tochter mit einem Nicht-Muslim nicht infrage kommt. Lina belügt ihre Eltern, um Zeit mit Anil verbringen zu können, doch der fordert immer mehr von der Frau, mit der er sein Leben verbringen will. Die Beziehung leidet zunehmend unter dem Druck, der auf den beiden lastet, und es scheint, als sei es ihnen nicht vergönnt, ihr Schicksal selbst zu bestimmen.
The obscure logic of the heart ist eine moderne Romeo-und-Julia-Geschichte mit religiösem Hintergrund. Die Autorin, die in Kenia aufgewachsen ist, lässt abwechselnd Lina und Anil erzählen, gibt ihren Zweifeln und seiner Verzweiflung eine jeweils deutlich hörbare und authentische Stimme. Sehr glaubwürdig und einfühlsam porträtiert sie eine Liebe, die wie eine zarte Pflanze durch die Ritzen im Beton wächst, die sich nicht niedertrampeln lässt, die mühsam gehegt wird, während andere, die sie als Unkraut betrachten, sie auszurupfen suchen. Freilich ist eine Liebesgeschichte umso romantischer, je mehr die Liebenden gegen Widerstände kämpfen müssen und je größer die Zahl ihrer Feinde ist. Priya Basil zeigt aber auch, dass – getreu nach Shakespeare’schem Vorbild, wenn auch weniger tragisch – die Liebe gegen so viel Feindseligkeit oft nicht bestehen kann, dass die Pflanze manchmal schlussendlich verdorrt. Sie hat den Herzens- und Gewissenskonflikt, der dieses Buch beherrscht, sehr fein herausgearbeitet und den Roman mit vielen lebendigen Hintergrundgeschichten über die Armut in Kenia, die Schwierigkeiten von Hilfsorganisationen und über das Festhalten an Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind, gefüllt. Ein wenig schade finde ich, dass der Fokus derart stark auf den Schwierigkeiten zwischen Lina und Anil liegt, dass kein Raum bleibt für jene jugendliche, verliebte Unbeschwertheit, die ich den beiden wünsche, sondern dass da in erster Linie Streitigkeiten und Diskussionen sind, Forderungen und Resignation, durch die die Liebesbeziehung in eine Schieflage gerät.
Ein sprachliches und inhaltliches Wunderwerk sind die Briefe, die im Roman auftauchen und von denen ich zuerst nicht weiß, wer sie an wen geschrieben hat. Als es mir schlussendlich klar wird, bin ich regelrecht erschüttert. Diese feinsinnigen, klugen, traurigen Briefe sind das Seil, das mich in dieses Buch zieht und mich an die vielen einzelnen Sätzen bindet, die unendlich schön sind: „If it was your intention to vanish without a trace, you neglected to consider the most incriminating article: me. I remain a repository of our past. On my shoulders: freckles from the day we spent in Brighton just before you left. On my hand: the scar from a cut sustained while clearing up the pieces of a glass we knocked over when I tried to teach you tango. On my feet: marks from the sandals I wore the day we walked from Regent’s Park back to the flat in Battersea. Physical wounds fade, but what about the scars of the mind?” Es liegt so viel Schmerz und Wut und Liebe in diesen Briefen, sie sind die Essenz des Vermissens, es tut weh, sie zu lesen, und sie machen diesen Roman für mich sensationell – genau wie sein Ende, dieses wunderbare, realistische, grandiose Ende. Ein Buch, das uns lehrt, was wir längst wissen: dass Religion, Hautfarbe, Nationalität nicht zählen sollten, sondern nur das Herz. „Because the heart is a black box. Every conquest, loss or rejection leaves its trace. We love according to what the heart has been taught. We love in the shadow – sometimes benign, sometimes malevolent – of every disappointment, betrayal or fulfillment. We love – and no god can control the feeling or mitigate the consequences.”
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein sehr schönes Cover.
… fürs Hirn: a whole lot of trouble.
… fürs Herz: das Buch zeigt erneut, wie viel größer und leidenschaftlicher eine Liebe ist, wenn ihr der Alltag verwehrt bleibt und sie ständig in ihrer Existenz bedroht ist.
… fürs Gedächtnis: vor allem die Briefe.
The obscure logic of the heart von Priya Basil ist auf Deutsch unter dem Titel Die Logik des Herzens bei Schöffling & Co. erschienen. Sehr lesenswerte Rezensionen findet ihr bei der Klappentexterin und Mara.
Steht noch auf meiner “noch-zu-lesen-Fensterbank. Ich bin gespannt!
Ach schön, von dir auch eine Rezension zu dem Buch zu finden. Ich bewundere dich dafür, dass du Bücher auch auf Englisch liest. Ich hatte gesehen, dass es von Priya Basil noch zwei weitere interessante Bücher gibt, beide aber leider auf Englisch und für englische Literatur fehlt mir die Zeit.
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, auch wenn es mich innerlich aufgewühlt hat. Aber attestiert dies dem Buch nicht automatisch, gut zu sein? Es hat mich bewegt und nicht kaltgelassen. Schwierigkeiten hatte ich ja mit Lina, die mir mit ihrer Art irgendwann auf die Nerven ging – diese Abneigung kann aber auch persönliche Gründe haben. 😉
Liebe Grüße
Mara
Ich hab mit 15 zum ersten Mal ganz bewusst von selbst (also nicht von der Schule aus) ein englisches Buch gelesen und zur Unterstützung die deutsche Übersetzung ausgeliehen. Damals hab ich gemerkt, wie viel in der Übersetzung verloren ging … und wie viel mehr mich das Original berührt hat. Also hab ich mich ganz ernsthaft drangemacht, das Lesen auf Englisch zu lernen, anfangs sogar noch mit Wörterbuch. Inzwischen schaue ich auch deshalb oft nach dem Original, weil es das zum Zeitpunkt, wenn die deutsche Übersetzung erscheint und ich darauf aufmerksam werde, schon als TB gibt – und ich es mir bei meinem Bücherverschleiß nicht leisten kann, mir immer die deutschen Neuerscheinungen im HC zu kaufen … Also habe ich gleich zwei Vorteile davon. Oder sogar drei, wenn man bedenkt, dass ich mein Englisch dadurch wenigstens nicht komplett vergesse 😉
Ich hatte mit Lina ebenfalls Schwierigkeiten, weil mich ihre Unfähigkeit, sich zu entscheiden, genervt hat – aber dann dachte ich mir, dass ich als freies westeuropäisches Mädchen keine Ahnung habe, wie sich das anfühlen muss. Anil hat meine Geduld mit seinen Eskapaden aber auch recht strapaziert. Die beiden sind nicht immer sympathisch und lieb und bemitleidenswert, was ich aber wiederum ganz gut fand. Am schönsten waren für mich wirklich die Briefe, die mich über manch andere Schwachpunkte hinweggetröstet haben.
Ich habe auch eine Weile gerne mal ein Buch auf Englisch gelesen, eben auch aus dem Grund, dass es viele reizvolle Bücher günstiger im Taschenbuchformat gibt. Irgendwann fehlte mir dann aber die Zeit und ich habe aufgehört und jetzt fürchte ich, dass die Lektüre eines englischen Buches einfach viel zu lange dauern würde. Ich bewundere dich wirklich, dass du das so durchgehalten hast! 🙂
Ich freue mich, dass ich mit meinen Schwierigkeiten nicht alleine war. Natürlich kann ich ihre Gefühlswelt nicht nachvollziehen und hat es mich angestrengt, dass sie alle anderen unter ihren Entscheidungsschwierigkeiten leiden lässt. Besonders kurz vor der Hochzeit konnte ich ihre Handlungen nicht mehr ganz nachvollziehen. Anil hat meine Geduld auch strapaziert. Richtig sympathisch war mir kaum einer der Charaktere. Auch Merc empfand ich als anstrengend, genauso wie die Eltern von Lina und Anil.
Ach, bestimmt würdest du schnell wieder hineinfinden! Man versteht ja sowieso nicht jedes einzelne Wort … und ich lese auch gar nicht so viele Bücher auf Englisch, nicht mehr.
Aber faszinierend ist doch, dass uns das Buch trotzdem gefallen hat, oder? Obwohl die Figuren allesamt unsere Nerven strapaziert haben. Wie du schon meintest: Es lässt einen nicht kalt, und das ist das Wichtigste!
Liebe Mariki,
ich danke dir für diese wunderbare Rezension zu meinem liebsten Buch aus dem vergangenen Jahr! Wenn man seinen persönlichen Liebling gefunden hat (und dies der Welt mitteilt), ist man sehr glücklich. Trotzdem spürt man so ein leichtes Ziepen in der Herzgegend, eine Unsicherheit, dass andere das anders sehen könnten. Doch wenn ich deine Worte richtig interpretiere, ist dieses Buch eins, das du so schnell nicht vergessen wirst. Dies ist ein ganz besonderes Glücksgefühl für mich.
Es grüßt dich herzlich,
Klappentexterin
Ohja, das kenne ich, liebe Klappentexterin… die kleine Angst, dass die anderen das Lieblingsbuch in der Luft zerreißen könnten! Aber wenn dir ein Buch gefällt, ist die Chance, dass ich es auch mag, meterhoch. Dieses Buch hab ich mir ja auch nur aufgrund deiner Rezension gekauft – und es nicht bereut!