Von den Wundern einer Kindheit
“Unsere Eltern hatten uns nie von ihren Plänen, eine Frühstückspension zu eröffnen, erzählt, und nie hatten sie diesen unnatürlichen Wunsch zu erkennen gegeben, Menschen zu beherbergen, die sie normalerweise nicht ermuntern würden, unser Leben zu teilen.” Doch dann ist dieser Wunsch auf einmal da, und für Eleanor Maud Portman ändert sich alles. Sie muss nach Cornwall umziehen und ihre beste Freundin Jenny Penny zurücklassen, sie wird zum Außenseiter in der Schule und kann nur noch mit Gott, dem Kaninchen, reden. Zum Glück ist Gott ziemlich klug. Er ist für Elly fast so wichtig wie ihr großer Bruder Joe, der mit seinem Anderssein kämpft und Vorbildwirkung für seine kleine Schwester hat. Und dann wird es eigentlich ganz gut in Cornwall, denn der alte Arthur, der die ganze Welt bereist hat und täglich Yoga macht, zieht als Dauergast in die Pension ein und bringt Ginger mit, eine in die Jahre gekommene Sängerin, die Wildes erlebt und Probleme mit Gefühlsduseleien hat. Komplettiert wird die Familie von Ellys lesbischer Tante Nancy, die schon lange in Ellys Mutter verknallt ist. Als Ersten spült es Joe aus dem Haus, er beendet die Schule in London, und Elly vermisst ihn schmerzlich. Auch als die beiden erwachsen sind, bleibt ihre Bindung eng, doch Joe entgleitet Elly immer mehr: „Er war wie Ginger geworden. Man musste sein Tun interpretieren, denn es wurde selten von Worten begleitet, weil seine Welt eine stille Welt war; ein abgekoppelter, gebrochener Ort.“ All die Jahre hat Joe seine kleine Schwester unterstützt, und nun ist es an ihr, etwas zurückzugeben. Doch Elly hat keine Ahnung, wie schwer das sein wird …
Ich liebe Bücher, in denen der Protagonist ein merkwürdiges kleines Kind ist – aber nur, wenn zwei wichtige Bedingungen erfüllt sind. Erstens: Die Familie des Kindes muss verrückt sein, es muss umgeben sein von seltsamen, gerade noch glaubwürdigen Leuten, die eine Fülle an abstrusen Geschichten mitbringen. Denn einen Roman über eine ganz gewöhnliche Kindheit, in der das Aufregendste ein neuer blauer Pyjama zum zehnten Geburtstag ist, will ich nicht lesen. Umso wunderbarer, dass es in diesem Buch eine Freundin gibt, die bescheuerterweise Jenny Penny heißt, dass Gott ein Kaninchen ist und Tante Nancy in einer Soap mitspielt und sogar ein Mord geschieht. Zweitens wünsche ich mir, dass der Roman nicht schwächer wird, sobald das Protagonistenkind erwachsen wird, denn allzu oft gibt es dann einen Bruch im Erzählton, der alle Kraft verliert. Diese Schwierigkeit hat Sarah Winman in Als Gott ein Kaninchen war exzellent gemeistert. Ich mag die erwachsene Elly immer noch, auch wenn sie arg antriebs- und leblos ist, und ich mag das ganze Buch. Es ist einer jener Romane, von denen man sich verzaubern lassen kann – weil das Leben sonderbar, aber dennoch lebenswert wirkt, weil man an die eigene Kindheit erinnert wird, weil man viel schmunzeln und fast ein bisschen weinen muss und weil man letztlich das Gefühl hat, etwas über das Leben gelernt zu haben, was freilich nicht im Geringsten stimmt. Als Gott ein Kaninchen war ist wie ein Ausflug in den Vergnügungspark, wo Zuckerwatteduft und Achterbahnsausen positive Erinnerungen wecken, wo es geheimnisvolle Ecken mit magischen Tricks gibt und auch ein wenig Gefahr lauert. Es ist schön dort, ich will bei Elly bleiben, gebrannte Mandeln essen und nicht nachhause gehen. Zwar entsetzt mich eine Wendung kurz vor Schluss, doch das Ende ist genau so, wie ich es brauche, um glücklich zu sein. Es ist das vergängliche, oberflächliche Glück von Schokoladeneis und neuen Schuhen, aber Glück.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: schön gemacht, nichts daran auszusetzen.
… fürs Hirn: ach. Muss ja nicht immer.
… fürs Herz: alles, alles, alles!
… fürs Gedächtnis: mein Lieblingszitat (über Ellys Mutter): “So war sie immer: dankbar für das Leben an sich. Ihr Glas war nicht nur halbvoll, es war vergoldet, und man konnte sich immer nachschenken.”
Liebe Mariki,
du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich mich jetzt auf das Buch freue! Es steht schon einige Zeit in meinem Regal und hat mich immer so lieb angelächelt. Irgendwann bist auch du an der Reihe, habe ich gesagt, woraufhin es natürlich laut hörbar mit den Seiten seufzte. (So etwas hört ein Buch nicht gern. Irgendwann klingt wie Wasser, das nicht greifbar ist.) Doch jetzt – nach deiner wunderbaren Rezension – kann ich es kaum erwarten, es aufzuschlagen und den Zuckerwatteduft einzuatmen.
Herzlichst,
Klappentexterin
Liebe Klappentexterin,
ich wünsche dir einen wunderbaren Ausflug in den Abenteuerpark mit Elly! Schlagt euch den Bauch mit Süßem voll, man lebt nur einmal! 😉
Danke, das werden wir und dabei an dich denken! 😉
ich bin pfingsten mittendrin im original versunken, hab noch rund 100 seiten gelegenheit die wunderbar formulierten gedanken zu genießen und freue mich irgendwann irgendwo, und ich meine sogar bei Dir, darüber gestolpert zu sein, danke für Deine seiten
Oh, ich hoffe, dir hat dieser Ausflug gefallen! Hab schon von mancher Seite gehört, dass das Buch auch auf Unbehagen gestoßen ist, aber ich fand es großartig.