“Was einmal kaputt ist, wird nie wieder ganz”
Plav ist Künstler – auch ein (Über)Lebenskünstler. Geschickt mit den Händen ist er und kreativ, seine Wohnung ein Sammelsurium aus Figuren und Basteleien, die sogar das Interesse einer Galerie weckt. Doch Plav fällt nicht nur mit Talent aus der Reihe, sondern auch mit nonkonformem Benehmen, was ihn in einer reglementierten Gesellschaft viel kostet: den Job, die Beziehung, den Kontakt zur ungewollt gezeugten Tochter. Er arbeitet in einer Spritzgussfabrik und fertigt nachts Marionetten aus altem Holz und Schrott, die so authentisch hässlich sind, dass man kaum hinschauen mag. Nicht nur das Dasein im Jetzt bereitet ihm Schwierigkeiten, auch die Vergangenheit nagt an seinem Gesundsein: Er kam mit seiner Mutter aus dem ehemaligen Jugoslawien, eine slawische Hassliebe voll Brutalität und Zärtlichkeit verband ihn mit ihr. Die Mutter an einen deutschen Mann zu verlieren, hat Plav geschmerzt. Und bei all der Qual, die seine Seele würgt, redet er mit seinem Daumen, der ihn versteht, ihm zuhört, seine Einsamkeit teilt.
Plav ist einer, der am Abgrund steht und allen zuruft, was er dort sieht – aus Angst wenden sie sich ab, sie wollen es nicht hören. Er gebärdet sich verrückt, er brabbelt, er schreit, er läuft nackt durch den Schnee, er juchzt. Plav kennt keine Grenzen und schert sich nicht um Konventionen, er ist direkt, ehrlich, sexuell aufgeladen, begabt und nicht zu schubladisieren. “Holz wie Delphinhaut. Fasst sich an wie meine Eichel”, sagt er zu einem Mädchen in einer Bar, dem er eine Puppe zeigt, die er geschnitzt hat. Und das Mädchen sagt: “Das ist so fein. Mit so viel Liebe. Die ganze Fitzelarbeit. Du musst in deinem Inneren schrecklich leiden, dass du so was Hässliches machen musst.” Und so ist es auch.
Mit kraftvoller, hastiger Prosa erzählt der deutsche Schriftsteller Thomas Podhostnik in diesem schmalen Band die energiegeladene Geschichte von einem, den niemand mag, nicht einmal und schon gar nicht er selbst. Plav ist fremd, der Welt und sich selbst, und es scheint, als müsse er sich selbst für diese Fremdheit bestrafen. Mit rauen, selbstgenügsamen Worten hält Thomas Podhostnik wie in einer Bleistiftskizze das Bild eines Mannes fest, der aufgrund seiner Andersartigkeit von einer Aura der Unberührtheit umgeben ist, die Hand in Hand geht mit einer tiefen Einsamkeit. Sehr dicht, komplex, leichtfüßig und doch substanziell.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: klare Bildsprache, ein schönes Blau.
… fürs Hirn: das eigene Erschrecken über Plavs Verhalten, das Wissen, dass man sich – an einer Bushaltestelle zum Beispiel – peinlich berührt von ihm abwenden würde im Glauben, er sei betrunken und/oder verrückt.
… fürs Herz: Plavs Kindheitserinnerungen, die für mich noch ausgeschmückter hätten sein dürfen.
… fürs Gedächtnis: wie Plav im Schnee gegen Rowdys kämpft, so völlig desinteressiert am möglichen eigenen Tod.
Die Hand erzählt vom Daumen von Thomas Podhostnik ist erschienen im Luftschacht Verlag (ISBN 978-3-902373-87-8, 16 Euro, 92 Seiten).