“Wir lieben genauso wie wir reisen – für kurze Zeitspannen und auf vorgegebenen Wegen”
“Virgile war nicht immer die beste Gesellschaft für sich selbst, aber das Zusammenleben zwischen dem, was er zu sein glaubte oder zu sein wünschte, und dem, was er war, verlief ohne allzu große Auseinandersetzungen.” Bis zu dem Tag, an dem Clara Virgile verlässt – per Nachricht auf dem Anrufbeantworter. An sich schon schlimm genug – aber Virgile kennt gar keine Clara. Hat er sie einfach vergessen? Ist ihm vielleicht entfallen, dass er mit ihr eine Beziehung geführt hat? Leidet er womöglich an einer tödlichen Krankheit? Vorsorglich kündigt Virgile seinen Stromanschluss und lässt sich von seinen Freunden trösten, die auf merkwürdige Weise von seinem angeblichen Liebeskummer erfahren haben und ihm über den Verlust von Clara hinweghelfen wollen. Das genießt er so sehr, dass er die Wahrheit verschweigt. Doch allmählich fragt sich Virgile, wer nun eigentlich verrückt ist: er oder Clara? Seine Psychiaterin weiß keine Antwort. Also bleibt Virgile nur eine Möglichkeit: Clara zu finden.
Virgile ist ein Neurotiker, ein Hypochonder, ein fast schon zwanghafter Mensch, der nur zum Schein am gesellschaftlichen Leben teilnimmt und innerlich vereinsamt. Seine ganze Liebe gilt der Stadt Paris: “Als Virgile mit knapp achtzehn Jahren an der Gare de Montparnasse ankam, hatte er beschlossen, dass Paris das Objekt seiner Liebe sein würde, weil man schließlich seine Liebe irgendwo lassen musste.” Sein Brot verdient Virgile in einer Werbeagentur, und seine Wohnung liegt in einem Haus voller Prostituierter. Virgile hat viele weibliche Freundinnen, in die er einst unglücklich verliebt war. Sein Leben ist geregelt, starr, festgefahren – und dann kommt Claras Nachricht, die alles infrage stellt, ihn nicht mehr loslässt, ihn aufrüttelt. Zum ersten Mal steckt Virgile den Kopf aus seinem Panzer und beschnuppert die Welt. Oder wie er selbst es ausdrückt:
“Ich habe einen Unfall gehabt.” “Aha. Was für eine Art von Unfall?” “Einen Unfall mit der Wirklichkeit.”
Die besten Wochen meines Lebens begannen damit, dass eine Frau mich verließ, die ich gar nicht kannte ist ein feinsinniger, charmant-komödiantischer Roman, der auf einer brillianten Idee basiert: Ein Mann wird von einer Frau verlassen, die er … nun ja, der Titel sagt es schon. In bester Woody-Allen-Manier kämpft der Protagonist mit seinen Spleens und Marotten. Er hat sich eingenistet in seiner Seltsamkeit und der Einsamkeit des Großstadtlebens. Da braucht es schon einen genialen Einfall, um ihn daraus zu befreien. Martin Page ist ein international bekannter französischer Autor, das vorliegende Buch sein fünfter Roman. Es erinnert in Stil und Botschaft stark an Anna Gavalda und François Lelord, ihres Zeichens ebenfalls schwer erfolgreiche französische Schriftsteller. Wie das Buch ist auch der Thiele Verlag eine Entdeckung, der schöne, schlichte Bücher im Programm hat. Dieses hier ist wie ein buntes Cupcake, süß und nach Zitronen duftend, wie ein Sonnenstrahl an einem nebligen Tag.
Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt …
… fürs Auge: ein eher unauffälliges Cover. Ich wundere mich über die unförmige Tasche der Frau, mag aber das Logo des Verlags, das wie ein Band wirkt.
… fürs Hirn: die Botschaft: Lass dein Leben nicht an dir vorbeiziehen!
… fürs Herz: die Szene, in der Virgile allein in seiner dunklen Wohnung sitzt, auf dem Kopf einen Helm mit Stirnlampe.
… fürs Gedächtnis: Mein Lieblingszitat: “Die Frauen und ihre Kleidung faszinierten Virgile. Sie weckten bei ihm Gedanken an Chamäleons, die sich ihrer Umwelt immer neu farblich anpassen und so mit ihr verschmelzen. Durch diese ständige Suche nach einem neuen Aussehen entzogen sie sich jedem Zugriff.”
Die besten Wochen meines Lebens begannen damit, dass eine Frau mich verließ, die ich gar nicht kannte ist erschienen im Thiele Verlag (ISBN 978-3-85179-120-4, 16 Euro).
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