Von Gotteskriegern, Asylbewerbern und kulturellen Unterschieden
Das dunkle Schiff ist ein dunkles Buch: Es handelt von Religion und Terror, von Gefahr, Einsamkeit und Unverständnis. Kerim wächst im Irak auf, nördlich von Bagdad. Seine Eltern führen ein kleines Gasthaus, von den politischen Unruhen bekommen sie wenig mit. Kerim ist ein dickes Kind, das wenig Freunde, aber ein Sprachtalent hat. Sein Weg wird ihn zu den Gotteskriegern führen, die das Land mit ihren grausamen Selbstmordattentaten in Angst und Schrecken versetzen. Doch in den irakischen Bergen nimmt Kerims Odyssee erst ihren Anfang: Als Asylbewerber kommt er nach Berlin, wo er Unterschlupf bei seinem Onkel Tarik und im deutschen Staat findet. Doch es scheint, als könne er den langen Armen des Islam auch in der Fremde nicht entkommen …
2008 landete Sherko Fatah mit Das dunkle Schiff auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, weshalb ich darauf aufmerksam wurde. Schon der Prolog fesselt mich derart, dass ich nicht aufhören kann zu lesen und in zwei Stunden fast 200 Seiten verschlinge. Hier schreibt jemand, der ein unglaubliches Talent hat und zudem etwas zu erzählen – die bestmögliche Kombination. Mit Kerim schafft Sherko Fatah einen Protagonisten, der beeinflusst wird von dem unglückseligen Ort, an dem er aufwächst, der gefangen genommen wird von den Umständen in seinem Land, dem Irak. In einer sehr bildlichen, eindringlichen Sprache erzählt der Autor vom Heranwachsen eines Jungen, der mit Religion und ihren fanatischen Auswüchsen eigentlich nur durch Zufall in Berührung kommt – und darin verloren geht. Er berichtet in einer sehr wertfreien Sicht von Terrorismus und kulturellen Unterschieden – und weicht dabei geschickt den Klischees aus, die mit diesem Thema einhergehen. Umso glaubhafter wirkt die Geschichte, da Kerim alles andere als ein guter Mensch ist. Er lässt sich zu Gewalt hinreißen und ist Opfer und Täter in einer Person.
Das Buch ist gut strukturiert und ungemein spannend. Meine persönliche Begeisterung flaut im letzten Drittel ein wenig ab, da Kerim plötzlich naiv und fremdbestimmt erscheint – vielleicht soll das aber auch nur zeigen, dass er hier nicht zu Hause ist. Von dem Zeitpunkt an, da er sich Asyl in Deutschland erschlichen hat, verläuft die Geschichte eher im Sand – der fulminante Abschluss ist nicht ganz gelungen, daher gibt es einen Punkt Abzug. Der Schluss selbst ist passend und in Ordnung, aber die Charaktere, die Kerim in Berlin trifft, und die Dinge, die er dort tut, wirken auf mich im Vergleich zu den Erlebnissen im Irak und den Berichten über seine Jugend hohl. Das ist allerdings Jammern auf hohem Niveau, denn mit Das dunkle Schiff ist Sherko Fatah ein grandioser Roman gelungen, der auf ganz besondere Weise Einblick gibt in das, was uns täglich mit Grauen erfüllt und dem wir hilflos gegenüberstehen: dem Wahnsinn der Selbstmordattentäter und ihrem Einfluss auf die ganze Welt. Auch ohne den Deutschen Buchpreis ist dieses Buch ausgezeichnet.
Klingt gut. Magst ma das morgen mal mitbringen? 😉 Bin schon durch mit Cleaver, war super.