Ein Erdbeben zerbricht eine Stadt – und eine Familie
Wir sind in der Nähe von Istanbul und es ist 1999, als ein Erdbeben mitten in der Nacht weite Teile der Stadt völlig zerstört. Es herrscht Chaos, Menschen liegen verschüttet, andere wurden erschlagen. Von der Katastrophe unmittelbar betroffen ist auch die Familie des Kurden Sinan, der mit seiner Frau Nilüfer, Tochter Irem und Sohn Ismail aus Yesilli vor dem kurdischen Krieg geflüchtet ist. Auf einen Schlag verlieren die vier alles: Ihre Wohnung ist in einem Trümmerhaufen verschwunden, nach Sohn Ismail suchen sie vier Tage lang, ohne zu wissen, ob er überhaupt noch lebt.
Was vor dem Erdbeben schon als kleine Risse in den Familienbanden zu spüren war, entwickelt sich jetzt zu regelrechten Abgründen: Irem ist in den jungen Amerikaner Dylan verliebt, Ismail hadert mit seinem Trauma, Nilüfer erwartet von Sinan, dass er seine Familie versorgt – und Sinan selbst ist rettungslos überfordert. Schnell gerät die Familie in einen Strudel aus Gewalt, religiösem Fanatismus und Armut. Souverän führt Alan Drews, der – wie der Name schon zeigt – selbst kein Türke ist, aber einige Jahre in Istanbul gelebt hat, seine Protagonisten zum vermutlich unausweichlichen Ende der Geschichte. Dabei lässt er uns hineinschauen in das Herz der türkischen Gesellschaft, in die Dynamik von Gerüchten und ihren schrecklichen Folgen, in den Krieg zwischen Christentum und Islam und nicht zuletzt in die Sehnsucht eines Kurden nach seiner Heimat.
Die Wasser des Bosporus ist ein authentisches und trauriges Buch über die Hilflosigkeit der Menschen angesichts von großen und kleinen Katastrophen. Mir ist die Kultur, die Alan Drews auf so sensible Weise beschreibt, völlig fremd, vieles von dem, was die Türken und Kurden in diesem Buch tun, kann ich nicht nachvollziehen. Dennoch bin ich ganz gefangen in dieser Geschichte voller Vorurteil und Gefahr. Sprachlich wie inhaltlich gesehen ist dieser Roman absolut lesenswert.