Mitten im Krieg spielt einer Musik
Es herrscht Krieg in Sarajewo, die Stadt ist belagert von Scharfschützen, die nach Belieben erschießen, wer ihnen vors Gewehr läuft. Das Leben der Menschen hat nichts mehr gemein mit einem normalen Alltag – ihre Stadt ist zerbombt und zerrissen, sie haben kein Wasser, keinen Strom. In dieser Situation geschieht es, dass ein Cellist sich jeden Tag um Punkt 16 Uhr hinaus setzt auf die Straße und ein Adagio spielt, 22 Tage lang, zum Gedenken an 22 getötete Menschen. Er schert sich nicht um die Gefahr, in die er sich begibt. Es ist ihm nichts mehr geblieben, worum er fürchten könnte.
Überraschend an The Cellist of Sarajevo ist, aus welchen Perspektiven Steven Galloway seine erschütternde Geschichte erzählt: Obwohl er im Mittelpunkt der Ereignisse steht, ist der Cellist selbst eher eine Randfigur. Der Autor lässt Kenan berichten, der sich auf den Weg macht, um für seine Familie Wasser zu holen – und was so einfach klingt, ist in Wahrheit eine Reise ins Ungewisse, von der er nicht weiß, ob er sie überleben wird. Wir folgen Dragan durch die zerstörte Stadt, er ist auf dem Weg zur Bäckerei, viele Kilometer liegen vor ihm, und wo die Scharfschützen lauern, die seinem Marsch ein Ende setzen könnten, kann er nur ahnen. Arrow dagegen ist eine junge Frau, die sich der Verteidigung der Stadt verschrieben hat – sie tötet die “Männer auf den Hügeln”, welche die Stadt belagern. Und weil sie die Beste ist, wird sie für eine bestimmte Aufgabe auserwählt: Sie muss den Cellisten beschützen.
Dass Steven Galloway nie emotional oder gar sentimental wird, macht dieses Buch umso ergreifender. Durch die Augen der Menschen, die ihr Leben lang in Sarajewo gewohnt haben und die Stadt lieben, macht er den Kriegszustand, die Trauer, die Wut greifbar, er bricht die Kriegshandlungen herunter auf das tägliche Leben in einer belagerten Stadt – in der ein Schritt vor die Tür den Tod bedeuten kann. Es gibt keine Politik, keine Fronten, keine Erklärungen in diesem Buch, die Handlung ist davon freigeschält – nur die “Männer auf den Hügeln” sind übrig und der Hass. Denn die Umstände dieses fiktiven Romans sind nicht erfunden – selbst den Cellisten hat es wirklich gegeben. Einziger Minuspunkt ist, dass er entgegen der Erwartungen keine eigene Rolle bekommt, sondern an ihm nur die Fäden zusammenlaufen. Davon abgesehen ist The Cellist of Sarajevo ein sehr beeindruckendes, sehr trauriges, sehr empfehlenswertes Buch.