Es fehlt der Schwung des argentinischen Tanzes
Das Leben hat mich schon oft gelehrt, dass es selten gut ist, das zweite Buch eines Autors zu lesen, dessen Erstling mir sehr gefallen hat … aber ich höre ja oft nicht hin. Nachdem Mister Pip für mich eines der besten Bücher 2008 war, habe ich mich heuer an das zweite Buch von Lloyd Jones gewagt. Und: Ja, es war ganz gut. Aber: Nein, es kann nicht mit Mister Pip mithalten. Die Frage ist natürlich, ob ich Here at the end of the world we learn to dance mehr gemocht hätte ohne den Vergleich. Doch das werden wir nie erfahren.
Das Ende der Welt, an dem getanzt wird, ist eine Höhle am Meer, wo die junge Louise sich gemeinsam mit dem Klavierstimmer Schmidt sowie Billy und Henry versteckt hält. Es ist Krieg, Billy und Henry wollen nicht eingezogen werden, Louise und Schmidt wurden verfolgt, weil man Schmidt für einen Deutschen hielt. Um sich die öde Zeit in der Höhle zu vertreiben, tanzen die vier: Schmidt bringt ihnen Tango bei. Sie leben nur noch für die Abende und das Tanzen, es hält sie aufrecht. Viele Jahre später erzählt uns der Tellerwäscher Lionel aus seiner Sicht die Geschichte: Er arbeitet im Restaurant von Rosa, Schmidts Tochter. Bald verbindet die beiden mehr als ein Arbeitsverhältnis: Sie tanzen gemeinsam Tango.
Die beiden parallel laufenden Handlungsstränge in Gegenwart und Vergangenheit sind beide für sich interessant. Jones springt mir jedoch zu viel hin und her und wählt mit dem Ich-Erzähler Lionel eine Figur, die einfach viel zu weit außerhalb der Geschichte steht. Für mich werden Louise und Schmidt nicht greifbar, viel weniger als Lionel und Rosa – die mich jedoch nicht so faszinieren. Es scheint, als wolle der Autor die Handlung von allen möglichen Seiten aufrollen – ich finde das verwirrend und unnötig. Mir fehlt außerdem die Glut, die ich mit argentinischem Tango verbinde, in der Geschichte und im Schreibstil.