Ein nachdenkliches, kluges Buch über das Schicksal der Juden
Ich hab lang überlegt, ob ich mir Elternland zu Gemüte führen soll – denn, ich gebe es zu, der Gedanke “schon wieder ein Buch über das Schicksal der Juden” zu lesen, hat mich abgeschreckt. Nun aber bin ich froh, dass ich es doch gewagt habe. Denn auch wenn Elternland “schon wieder ein Buch über das Schicksal der Juden” ist, so beleuchtet es das Leid der Juden im Zweiten Weltkrieg doch von einer mir bisher verborgenen und daher recht interessanten Seite: in einem winzigen Dorf am Ende der Welt von Polen. Hier leben einfache Bauern, die sich früher das Dorf mit vielen Juden geteilt haben. Davon ist kein einziger mehr übrig.
Jakob ist in Tel Aviv aufgewachsen und hat nie Zugang zu seinen Eltern gefunden – als sie gestorben sind, hat er all ihre Besitztümer verschenkt und ihren Stoffladen in ein modernes Bekleidungsgeschäft umgewandelt. Er ist unglücklich verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Der Wunsch, das Heimatdorf seiner Eltern kennenzulernen, in dem sie nur knapp überlebt haben, überfällt ihn eines Tages mit einer solchen Macht, dass er losfährt: nach Schidowze im Nirgendwo von Polen. Dort findet Jakob viel über seine Eltern, über sich selbst, über das Schicksal der Juden, die ermordet wurden, und den Hass unter Menschen heraus. Seine Weggefährtin ist dabei die aufrichtige, vom Leben gezeichnete, liebevolle Magda, bei der er unterkommt und die seine Familie als Kind kannte.
Wie Jakob durch Schidowze und damit nicht nur durch eine grausame Vergangenheit, sondern auch eine nach wie vor antisemitische Gegenwart wandert, das ist berührend, es macht nachdenklich und traurig, gleichzeitig aber ist allen Sätzen eine gewisse Lebensfreude anzumerken. Aharon Appelfeld ist es geradezu meisterhaft gelungen, sich in seinen Protagonisten einzufühlen, in den Juden, der so wenig weiß von seinen Vorfahren, der nicht religiös ist und doch den typischen Vorurteilen gegenübersteht – auch nach so vielen Jahren. Ich bewundere es, dass er dabei nie offen anklagt, sondern lächelnd den Kopf schüttelt über die Dummheit der Menschen. Appelfelds Sprache ist schräg, er benutzt merkwürdige Metaphern und lässt seine Figuren kurze, lebensschlaue Sätze sagen, die für sich genommen in einem Lexikon stehen könnten, so klug sind sie. Natürlich redet niemand so, und ich bin hier für gewöhnlich sehr kritisch. Ich mag es auch nicht, wenn Menschen in Büchern ständig wirre Träume haben. Und doch – Elternland hat mich sehr fasziniert, interessiert, begeistert und gefesselt. Unbedingt empfehlenswert!
Lieblingszitat: Ein Ort zeigt einem Menschen nichts als das, was er dahin mitbringt.