Bücherwurmloch

„What a weird thing reading is“ 

Joad und ihr Mann haben eine Farm übernommen, sie gehen regelmäßig mit ihren Videos über die heile Landwelt viral. Aber auf dem Dachboden findet Joad ein Manuskript, das eine verstörende Geschichte erzählt. Justine dagegen erinnert sich an die Männer in ihrem Leben und wie sie sie behandelt haben. Und das Total Phone ist eine Erfindung, bei der man mit der Person, mit der man spricht, verschmilzt, es gibt dann keine Trennung mehr. Allerdings hat es schwerwiegende genetische Folgen für die ungeborenen Babys schwangerer Mütter, weshalb es verboten wird. Die Ich-Erzählerin hat eine Schwester mit dem Total Syndrome und setzt sich in den Kopf, sie aus der Betreuungseinrichtung zu holen, wo sie lebt.

Rebecca Miller ist bekannt als Filmemacherin und Autorin. In dieser Kurzgeschichtensammlung zeigt sie ihre Liebe zu Figuren, denen man deutlich anmerkt, dass sich jemand Gedanken gemacht hat über Nähe und Intimität, über Beziehungsgeflechte und romantische Gefühle. Ich hab außerdem den Eindruck, dass Rebecca Miller diese Short Storys richtig gern geschrieben hat, sie haben so eine satte Zufriedenheit. Trotzdem sind sie ungewöhnlich genug, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und mich zu überraschen. Bei Kurzgeschichten ist es immer so, dass manche mehr Eindruck hinterlassen als andere, aber durch „Total“ zieht sich ein angenehmer Ton, etwas fast schon Freundschaftliches, als würde die Autorin nah herkommen und raunen: Hey, hör zu, ich erzähl dir was. Und das ist dann einerseits verrückt, andererseits nachvollziehbar. Wer gern Short Storys mag, kann auf jeden Fall zu diesem Buch greifen.

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„Ich habe gelernt, mich in Räumen zu bewegen, die nicht für mich kreiert worden sind“

Ich möchte eins vorweg sagen: Bei mir bekommen alle Gastkinder was zu essen, niemand muss im Kinderzimmer warten oder wird nachhause geschickt, im Gegenteil, ich haue doppelt so viel in die Pfanne, was esst ihr gerne, frag ich, ich koch euch was. Und anschließend muss niemand sitzenbleiben am Tisch, ich verstehe überhaupt nicht, wieso. Müssen meine eigenen Kinder auch nicht, ich hab bei dieser Sitzenbleib-Sache oft das Gefühl, dass es da um eine Machtdemonstration geht, aber sicher bin ich mir nicht. Schuhe ausziehen ist sowieso Pflicht, und jetzt weiß ich nicht genau, ob das alles daran liegt, dass ich Österreicherin bin, scheinbar sind das in Deutschland heiße Themen. Nicht zuletzt damit beschäftigt Elina Penner sich in „Migrantenmutti“. Die Autorin, die mit „Nachtbeeren“ einen großartigen und vielbeachteten Roman über Mennoniten vorgelegt hat, hat nun ein erzählendes Sachbuch über Sozialisierung und Scham und Fernsehen und Pommes geschrieben. Sie hangelt sich an ihrem eigenen Aufwachsen und Muttersein entlang, berichtet von ihrer Zeit in Amerika und dem einen oder anderen Clash der Kulturen in Deutschland. Ich mag den Ton und das Rotzige, das sich automatisch einstellt, wenn es einem egal ist, ob man von allen gemocht wird: Elina Penner räumt mit Vorurteilen auf und wirkt Klischees entgegen, es geht um Liebe und Zugehörigkeitsgefühl und Fremdsein und die Frage nach der Heimat. „2040 werden 40 Prozent der Kinder in Deutschland Migrationshintergrund haben“, steht in diesem Buch, und witzig, dass darauffolgt: „Dann wird dieses Buch hoffentlich schon längst unnütz sein“, während ich denke, dass es doch gerade deshalb so wichtig ist. Hinzuschauen, zuzuhören und zu verstehen, warum die einen es so machen und die anderen anders und dass das eine nicht besser und das andere nicht schlechter ist. Es ist außerdem nach wie vor essenziell, dass Migrant:innen ihre Lebenswirklichkeit beschreiben, dass ihre Erfahrungen Raum bekommen und Aufmerksamkeit, dass sie nicht abgetan und abgewertet werden. Ich habe während der Lektüre manchmal genickt, dann den Kopf geschüttelt, manchmal gelacht und mich an anderen Stellen gewundert. Danke, dass du mir Einblick gegeben hast, Elina.

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„Männer waren uns egal, und wir glaubten nicht an Wunder“

„Wir wissen, welche Mütter beten, welche Mütter niederträchtig reagieren, welche Mütter schon in Tränen ausgebrochen sind und welche Mütter zu viele Fragen stellen. Wir kennen alle Sorten von Müttern.“ 

Zwei Dinge sind wahr: Ich habe dieses Buch nicht verstanden. Und zwar wirklich überhaupt nicht. Ich habe es trotzdem sehr gemocht. Es ist ein bisschen wie bei einem komischen Indie-Film, an dessen Ende man denkt: Hä? Aber auch: Geil. So ist es mir mit „Wir, wir, wir“ ergangen, das schon mal einen großen Stein in meinem Lesebrett hatte, weil ich die erste Form Plural als Erzählform faszinierend finde – und der Titel verrät schon, dass das hier zumindest in einigen Kapiteln der Fall ist. Dieses Wir hat immer eine konspirative Wirkung, zieht mich als Lesende auf die Seite der Erzählenden, schließt mich ein, als wäre ich auch dabei, wenn nach Sammy gesucht wird, die verschwunden ist. Und wer sich an meinen Rant über das Narrativ der toten Mädchen erinnert, kann sich gut vorstellen, dass ich anfangs dachte: Na bitte, nicht schon wieder. Dann ist zwar vieles ähnlich, aber das meiste ganz anders. Eine Gruppe 13-jähriger Mädchen hat eine Obsession für die minimal ältere Sammy entwickelt, die plötzlich nicht mehr nachhause kommt, und sie erzählen später auch aus Erwachsenensicht. Da hab ich noch geglaubt: Gut, am Ende löst sich das auf. Tut es auch und gleichzeitig nicht. An einem gewissen Punkt gibt es einen Stein mit Zähnen. Und wenn ihr das verwirrend findet: fragt mich mal.

Dizz Tate hat bisher Kurzgeschichten veröffentlicht, dies ist ihr erster Roman, übersetzt von Heike Reissig. Er ist sprachgewaltig und schräg und einmalig, irgendwie klebrig und sehr nebulös. Auf Instagram haben mir andere Lesende geschrieben, dass sie ihn ebenfalls nicht verstanden haben, und das hat mich ein wenig getröstet – dass sie ihn aber trotzdem, wie ich, sehr gut fanden. Vielleicht könnt ihr ihn ja lesen und mir hinterher erklären, was das alles soll. Und warum es bei aller Seltsamkeit diese aufwühlende, nachhallende Wirkung hat.

„Wir wissen natürlich, wo Sammy ist. Wir wissen immer, wo Sammy ist.“

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„Auch auf die eigene Blindheit hat der Mensch ein Recht“

„Ich glaube, Sterben ist wie ein verlorener Zahn, gestern Abend hatte man ihn noch, und heute Morgen wurde er gezogen, das ist alles.“

Ihren Ursprung hat die Geschichte in einem russischen Kurort bei Kasan, und von da an bewegen sich mehrere Frauen aus unterschiedlichen Generationen in konzentrischen Kreisen umeinander und um sich selbst. Die jüngste von ihnen ist Walja, die von ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter erzählt. Aber sie tut es nicht chronologisch, sie weiß auch nicht allzu viel, weshalb sich etwas Auktioriales dazwischenmischt, und am Ende kommt ein ganz hervorragender, schmaler, aber kraftvoller Roman dabei heraus, über Russland, Frausein, Mutterschaft, über Ehen, die man bereut, und solche, über die man niemals hinwegkommt. 

Valery Tscheplanowa ist als Schauspielerin auf Bühnen und im Kino bekannt geworden, sie wurde auch bereits bei den Salzburger Festspielen als Buhlschaft gefeiert. Für ihren ersten, autobiografisch gefärbten Roman – sie ist selbst im sowjetischen Kasan geboren und kam mit acht Jahren nach Deutschland – hat sie eine bildhafte, anrührende Sprache gefunden, die viel mit mir gemacht hat. Ich hab das Buch in einem Rutsch gelesen, es ist wunderbar flüssig und klug und zart, obwohl es zeitweise von Gewalt und Vernachlässigung berichtet, von emotionalem Hunger und großen Leerstellen. Es geht um die Frage nach Heimat und Zugehörigkeit, um familiäre Verbindungen und Dinge, die wir denen, die vor uns gekommen sind, nicht verzeihen. Schön finde ich, dass die Autorin ganz bei den Frauen bleibt, die Männer sind zwar anwesend, aber auf ihnen liegt nicht, wie sonst so oft, der Fokus. Obwohl die Handlung an sich keine Kapriolen schlägt, obwohl solche Geschichten schon oft erzählt worden sind, ist dies ein ungewöhnliches Buch mit einem unverstellten, jungen Blick auf Vergangenes. Ich kann es euch auf jeden Fall empfehlen.

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„Ich bin eindeutig kein Badehosen-Typ, aber zum ersten Mal Schwimmshorts zu tragen, Brust raus, Narben sichtbar, war unbeschreiblich.“

Elliot Page ist ein bekannter Schauspieler, der im kanadischen Halifax in Nova Scotia geboren wurde. Bei dieser Geburt wurde ihm das weibliche Geschlecht zugeordnet, und schon früh hat Elliot damit begonnen, sich anzupassen – es kam ihm deshalb ganz einfach vor, verschiedene Rollen für Filme und Serien anzunehmen, weil er auch im täglichen Leben nichts anderes tat, als eine Rolle zu spielen. Seine Eltern trennten sich früh, mit der Stiefmutter kam Elliot nicht gut aus – und auch von seinem Vater hat er wenig Unterstützung erfahren. Seine Mutter hat vermutlich ihr Bestes gegeben, auch wenn es, seiner Erzählung zufolge, kein sehr gutes Bestes war. Der Druck, unter dem Elliot viele Jahre lang stand, war enorm und hat sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar gemacht, vor allem in heftiger Dysphorie und Essstörungen. Elliot konnte der Welt, die ihn für seine Filme bejubelt hat, nicht sagen, dass er queer ist, dass er Frauen datet. Die Zwänge, die ihm auferlegt wurden, die Möglichkeiten, die ihm genommen wurden, haben sein Leben bestimmt.

Aber Elliot Page lebt heute als der, der er immer schon gewesen ist. Er hat viele Menschen in seinem Leben verloren und andere dazugewonnen. Und er hat dieses Buch geschrieben, hat seine Geschichte erzählt – was dank seiner Berühmtheit für viel Sichtbarkeit sorgt. Es ist traurig, dass es diese Sichtbarkeit dringend braucht, weil wir queeren und trans Menschen sämtliche Rechte permanent absprechen. Es ist gleichzeitig schön, mitzuerleben, wie Eliott zu sich findet – und anfängt, frei zu sprechen. Für sich. Für alle anderen, denen es geht wie ihm. In interessanten, nicht chronologischen Anekdoten berichtet er von ersten Küssen und Kostümierungen, von öffentlichen Beschimpfungen und zerbrochenen Beziehungen. Mit jeder Seite hat es mir mehr wehgetan, dass die Welt so ist, wie sie ist. Dass es einen irren Leidensdruck und viel Mut braucht, um sich gegen den Hass zu stemmen. Danke, Elliot, dass du es getan hast.

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„Ein großes, großes Schluchzen drang durch meinen Körper“

Die Ich-Erzählerin wurde im Alter von sechs Jahren adoptiert, damit sie Pianistin werden konnte: Als Wunderkind galt sie, als hochtalentiert am Klavier. Der Mann, bei dem sie aufgewachsen ist, war also mehr ein Lehrer als ein Vater, und ihre wahren Eltern kennt sie nicht. Jetzt ist sie erwachsen, weltberühmt – und hat gerade während eines Konzerts einfach die Bühne verlassen. Sie konnte nicht mehr spielen, oder vielleicht wollte sie nicht. Stattdessen gondelt sie ein wenig durch die Welt, Griechenland und London, sie ist haltlos und auf der Suche, unterrichtet Söhne und Töchter reicher Eltern. Statt Antworten findet sie einen Hut, den ihr eine Frau hinterlassen hat, die ihr ähnlich zu sein scheint, vielleicht eine Doppelgängerin? Warum begegnet sie ihr immer wieder, an vollkommen unterschiedlichen Orten? Was, wenn ihr Mentor Arthur nun stirbt? Und wie wird ihre Zukunft aussehen?

„Augustblau“ von Deborah Levy, übersetzt von Marion Hertle, ist wie ein Arthouse-Film als Buch: verwirrend, mit Sonnenflecken, zarter Klaviermusik und seltsamen Unklarheiten. Dabei aber angenehm fließend, unterhaltsam, bei aller Fremdheit irgendwie schön. Auf dem Cover ist auch noch ein Pferd, das hat mit dem Inhalt gar nichts zu tun, und gerade deshalb passt es so gut zu diesem Buch. Die Sache mit der vermeintlichen Doppelgängerin ist nicht unbedingt unheimlich, aber doch recht schräg, und der Weg, den die Pianistin zu gehen versucht, verschlingt sich in sich selbst, er hat kein Ende und kein Ziel. Der Roman ist nachdenklich und sanft, als würde man einen selbstvergessenen Spaziergang machen. Ich hab ihn sehr gern gelesen. 

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„Die Geschichte vom kalten Herz hatten sie als Film gesehen“

Anfang der Fünfzigerjahre in Süddeutschland: Liz arbeitet schon als Jugendliche in der Batteriefabrik und hilft abends sowie am Wochenende in der Gastwirtschaft der Eltern. Die sind Geflüchtete und haben es endlich in ein eigenes Haus geschafft, in dem sie unten die Gäste bewirten. Für den Vater bedeutet das, dass er notgedrungen zum Trinker wird, für Liz bedeutet es, dass sie dort in der Wirtsstube ihren zukünftigen Mann trifft. Sie heiratet und bekommt Kinder, lebt ganz gut und irgendwie doch schlecht, weil die Erfüllung nicht zu finden ist in einem Frauenleben, das ganz den Männern untergeordnet gestaltet werden muss. Das weiß auch Liz‘ Mutter Nevenka, die zudem nie über ihre Herkunft und ihre Geschichte gesprochen hat.

Sabine Kucher schreibt vom kalten Wasser der Thaya und vom brennenden Schnaps, von postnataler Depression, bei der es heißt, dass es „schon wieder gehen wird“, von unerfüllten Träumen und lähmender Langeweile. „Die lichten Sommer“ hat einen wunderbaren Titel und ist ein ruhiges, schlichtes Buch, das sich nicht lange mit komplizierten Sätzen oder weit hergeholten Metaphern aufhält: Da erzählt eine so, wie es eben ist. Vor der Kulisse der Nachkriegszeit entwickelt sich ein Familienpanorama, in dem eigentlich niemand so richtig glücklich ist – aber so richtig unglücklich halt auch nicht. Es gibt kein großes Drama, mehr eine satte Unzufriedenheit, die wohl auch Teil der deutschen Geschichte ist. Schön ist, dass die zwei Frauenfiguren im Mittelpunkt stehen dürfen, auch wenn sie einander nicht nah sind. Ein angenehm zu lesender und bei aller Härte freundlich-weicher Roman.

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„Wenn zwei Frauen denselben Mann mögen, ist es nicht ziemlich wahrscheinlich, dass sie einander ebenfalls sympathisch sind?“

Ihr könnt das nicht hören, aber ich seufze gerade laut. Weil ich dieses Buch in der Hand halte. Das Seufzen besteht zur Hälfte aus Zufriedenheit und zur anderen Hälfte aus Erleichterung. Ich plädiere nämlich ständig und überall dafür, dass alte misogyne Narrative aufgebrochen werden. Und Eva Lohmann hat mit diesem Roman genau das getan. Es geht darin um einen Mann, der seine Frau mit einer anderen betrügt. So weit, so unspektakulär. Aber eigentlich geht es in Wahrheit um diese beiden Frauen: Sie sind es, die erzählen. Ihre Stimmen sind es, die wir hören. Der Mann kommt nicht zu Wort, der Mann ist, seien wir ehrlich, nicht so wichtig. Er ist ein Dreh- und Angelpunkt, aber es dreht sich eben nicht alles um ihn. Vielmehr ist er der Auslöser für Begegnungen, die so ablaufen könnten, wie sie es in anderen Büchern und Filmen zigtausendmal getan haben. In „Das leise Platzen unserer Träume“ führen sie aber von ihm ausgehend ganz woanders hin. Das ist unglaublich schön. Und sehr befreiend.

Dieses gehört zu den besten Büchern, die ich 2023 gelesen habe. Weil Eva Lohmann mit feinsinnigem Witz und raffinierten Kniffen Wege abseits vom Mainstream geht. Weil sie eine neue Wirklichkeit erzählt, und durch das Erzählen wird diese Wirklichkeit wahr. Es geht um die Lebensentwürfe von Frauen, um Kinderlosigkeit und Mutterschaft, es geht um Monogamie und Langeweile und Sex. Hervorragend beobachtet sind die Episoden, in denen Jule und Hellen abwechselnd zu Wort kommen, und ihre Gefühle bringt die Autorin gekonnt auf den Punkt. Die dürfen vielseitig sein und widersprüchlich und verwirrend, das macht sie so authentisch. In meinem Lesekreis zu „Diamantnächte“ haben wir überlegt, wie es wäre, wenn Frauen sich nicht länger an Männern orientieren würden, sondern aneinander. Bei ihrer Lesung zu „Jungfrau“ habe ich Monika Helfer gefragt, ob sie sich solche Geschichten vorstellen könnte. Sie hat entschieden Nein gesagt. Aber Eva Lohmann, die kann das. Und zwar richtig gut. Lest dieses Buch, unbedingt.

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„Alle seine CDs, DVDs und Fotobände kaufe ich dreifach – eine Ausgabe zum Aufbewahren, eine zum Angucken und eine zum Verleihen. Fernsehprogramme nehme ich auf und sehe sie mir immer wieder an. Seine gesammelten Aussagen und Handlungen helfen mir, ihn besser zu verstehen.“ 

Akari ist Fan von Masaki, seit sie als Kind einen Film gesehen hat, in dem er Peter Pan spielt. Inzwischen ist Masaki Mitglied einer berühmten J-Pop-Gruppe, Asaki gibt ihr gesamtes Geld aus, um Fanartikel mit seinem Gesicht darauf zu kaufen, und verbringt ihre ganze Freizeit damit, die sozialen Medien nach Neuigkeiten zu durchforsten und auf ihrem Blog über Masaki zu schreiben. Da sie Schülerin ist, muss sie nebenbei jobben, um sich ihr Fantum leisten zu können, und der Widerstand ihrer Eltern ist groß. Als bekannt wird, dass Masaki eine weibliche Person geschlagen haben soll, bricht eine virtuelle Welle los, von der Akari mitgerissen wird. Sie will keine Sekunde lang glauben, dass Masaki ein schlechter Mensch sein könnte, stattdessen denkt sie, dass sie etwas tun kann, um ihm zu helfen: noch mehr posten, noch mehr CDs kaufen. Auch wenn es sie in jeder Hinsicht in den Ruin treibt.

„Ich habe keine Ahnung, wie ich nach dem Konzert, wenn mir nichts mehr bleibt, weiterleben soll. Ich bin nicht ich, wenn ich nicht Masakis Fan bin. Ein Leben ohne ihn ist nur noch ein Warten auf den Tod.“ 

Rin Usami ist die jüngste Preisträgerin in der Geschichte des japanischen Yukio-Mishima-Preises, auch den Akutagawa-Preis hat sie für ihren Debütroman erhalten. 1999 geboren, ist die Autorin altersmäßig nicht weit von ihrer Protagonistin entfernt und erzählt eine lebhafte, glaubwürdige Geschichte von Bewunderung und Hingabe. Über alles, was Mädchen und Frauen gut finden, wird gern gelästert, ihr Fan-Sein wird lächerlich gemacht und abgewertet. Gleichzeitig sind sie wie ein großes Sparschwein, hinter den Popgruppen steckt eine riesige Marketingmaschinerie, es geht um Millionen. „Idol in Flammen“ ist ein sehr lesenswertes schmales Buch über Geldmacherei und emotionale Leere.

„Ich werde meine Sommerferien einzig und allein Masaki widmen, denke ich und habe das Gefühl, dass in dieser Einfachheit mein ganzes Glück liegt.“ 

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„40 Prozent der Jobs im Niedriglohnsektor werden in Deutschland von Migrant*innen der ersten, zweiten, dritten Generation übernommen“

Betiel Berhe ist studierte Ökonomin und Aktivistin, und sie zeigt in diesem Buch die Missstände unserer Gesellschaft auf. Das tut sie in einem gelungenen Mix aus Daten, Fakten und persönlichen Erlebnissen. Indem sie ihre eigene Lebensgeschichte erzählt und verdeutlicht, wie sie aus welchen Gründen als Kind, als Jugendliche, als Erwachsene behandelt wurde und wird, hinterfragt sie das deutsche Aufsteiger*innenmärchen. Hat sie es „geschafft“ und was bedeutet das überhaupt?

„Denn Menschen werden im Kapitalismus nicht einfach nur für ihr Mensch-Sein anerkannt, sondern sie müssen Waren kaufen und konsumieren, um gesellschaftlichen Status zu erlangen.“

„Nie mehr leise“ ist ein umsichtiges, durchdachtes Buch voll berechtigter Wut. Es ist ein Buch, das den Kapitalismus als das rassistische und klassistische System kritisiert, das er ist. Zum einen ist es unfair, wie wir von Schwarzen und migrantischen Menschen verlangen, dass sie auch noch den Erklärbär spielen, weshalb sie kaum selbst entscheiden können, ob sie Aktivist*innen sein wollen, sie werden dazu gemacht. Wir erzwingen, dass ihre bloße Existenz politisch ist. Zum anderen bin ich aber Schreibenden wie Betiel Berhe dankbar, weil Bücher wie dieses auf den Punkt bringen, was das Problem ist – und wie wir es lösen könnten.

„Diese Untersuchungen zur Psychologie von sozialen Klassen zeigen, dass Menschen aus der Armuts- und Arbeiter*innenklasse tendenziell empathischer sind als Menschen aus der Mittelschicht.“ 

Jetzt kommt es auf euch an, denn wir müssen Bücher wie dieses lesen. Wir müssen sie kaufen, verschenken, darauf aufmerksam machen, ihnen das Spotlight geben, das sie verdienen. Wie wir unser Zusammenleben gestalten, geht uns alle an – und wir können uns nicht vor unserer Verantwortung drücken. 

„Für weiße Menschen der Mittel- und Oberschicht ist die Idee der Intersektionalität eine intellektuelle Herausforderung. Nicht, weil sie weniger intelligent wären, sondern weil sie gelernt haben, dass nur ihre Lebenswirklichkeit gesellschaftlich relevant ist.“