„Wenn einer in die Berge geht, dann weil man ihn im Tal nicht in Frieden lässt“
Pietros Vater ist so einer, der in die Berge geht, in die Berge rennt, mit Verbissenheit, mit Obsession, als könnte er nur dort oben wirklich atmen. Das ganze Jahr über arbeitet er – die Familie lebt in Mailand –, doch kaum hat er Urlaub, zieht es ihn hinaus aufs Land und hinauf zu den Gipfeln.
„Gelassenheit gehörte nicht gerade zu den Tugenden meines Vaters, aber in der Stadt hätte er sie besser gebrauchen können als Ausdauer.“
Die Mutter findet ein Häuschen in einem winzigen Bergdorf, um das sich niemand mehr kümmert:
„Das war nicht bloße Nachlässigkeit, sondern fast schon so etwas wie Verachtung für diese Dinge, eine Lust daran, sie vergammeln zu lassen (…). Ganz so, als wäre das Schicksal dieser Orte längst besiegelt und jede Form von Instandhaltung vergebliche Liebesmüh.“
Hier lernt Pietro Bruno kennen, einen schweigsamen Jungen im selben Alter, der die Kühe hütet. Jahr für Jahr treffen sie sich im Sommer und erkunden gemeinsam die Berge. Doch wie kann sich eine solche Freundschaft, die geografisch derart beschränkt ist, weiterentwickeln, wenn Pietro und Bruno erwachsen sind? Oder muss sie das vielleicht gar nicht, kann sie ein Zufluchtsort bleiben, der sich nicht verändert?
„Als Erwachsener kann man einen Ort, den man als Kind geliebt hat, auf einmal ganz anders empfinden und von ihm enttäuscht sein. Oder aber er erinnert einen an denjenigen, der man einmal war, und machte einen unendlich traurig.“
Paolo Cognetti kennt sich aus in den Bergen: Seine Hütte im Aostatal befindet sich auf 2000 Metern Höhe. Zudem war er an der Filmhochschule und hat Dokumentarfilme produziert. Das bedeutet: Er hat das Wissen für beide seine Hauptfiguren – Bruno, der in den Bergen ist, Pietro, der Dokumentarfilme macht – in sich vereint. Besonders die Liebe zum Bergsteigen, die er selbst empfindet, spürt man in jeder Zeile des Buchs. Es ist ein schönes Gleichnis, das Paolo Cognetti zur zentralen Frage seines Romans macht: Wer hat mehr gesehen, derjenige, der zu allen acht Bergen reist, oder der, der den höchsten Gipfel besteigt? Der Autor kettet zwei Männer aneinander, von denen einer weg will und einer bleibt, von denen einer Perspektiven hat und einer nicht. Um das Scheitern geht es in diesem Buch, um Selbstfindung, um die Verbundenheit zur Natur und die Gründe, aus denen wir uns von ihr entfernen, um Freundschaft und die Erkenntnis, dass wir oft erst wissen, was richtig wäre, wenn es längst zu spät ist.
Acht Berge ist ein langsames, ruhiges, schlichtes und gerade deshalb wunderbares Buch. Es ist wie ein entspannender Ausflug, der den Leser runterkommen lässt. Es ist auch eine Zeitreise in jene Jahre, in denen Smartphones und Internet noch nicht unser Leben bestimmten – als Kinder noch frei von Apps waren und die Wälder ihr liebster Spielplatz. Paolo Cognetti hat seine zwei Protagonisten sehr fein gezeichnet, denn sie sind nicht perfekt, sondern glaubwürdig. Sie sind – jeder für sich – egozentrisch und blind, sie zerkrachen sich, entfremden sich, reden zu wenig und halten doch zueinander. Das zu lesen, ist sehr schön, und beim durchaus konsequenten, einzig logischen Ende hatte ich Tränen in den Augen. Der Autor schlägt keine sprachlichen Kapriolen, und das ist erholsam. Er erzählt so, wie die Geschichte nun einmal ist: raus, unkompliziert, menschlich. Eine absolute Leseempfehlung.
Acht Berge von Paolo Cognetti ist erschienen bei der DVA (ISBN 978-3-421-04778-6, 256 Seiten, 20 Euro).
Ich kann das Buch auch absolut empfehlen. Persönlich gefällt mir das Buch deshalb so gut, weil die Natur der Berge so wunderbar beschrieben wurde.
https://meinekritiken.com/2017/10/28/buch-cognetti-paolo-acht-berge/
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