„Und das Herz rollt sich ja auch nicht zum Sterben ein, es will immer noch und will und will“
Es war nur ein Schnitt, doch für Ari war es ein tiefer Einschnitt: Vor einem Jahr wurde ihr Sohn Walker per Notkaiserschnitt aus ihr herausgeholt, und damit kommt sie nicht klar. Sie fühlt sich wie eine Versagerin, sie fühlt sich vergewaltigt. An manchen Tagen ist sie schwer depressiv, mit ihrer feministischen Doktorarbeit geht nichts weiter, obwohl sie Walker zur Tagesmutter bringt, und das Muttersein macht ihr generell zu schaffen:
Wieder ein Tag vorbei, okay, ich kapier’s, ich hab’s kapiert: Ich bin vorbei. Mich gibt es nicht mehr. Daher die uralte Übereinkunft, dass Kinderlose nicht die Voraussetzung mitbringen, sich mit religiöser Mystik zu befassen. Daher die weitverbreitete Überzeugung, Kinderkriegen sei der Expresszug zur Erleuchtung. Es gibt Meditation, Medizin, Peyote in der Wüste bei Sonnenaufgang und die Selbstopferung, und dann gibt es noch das Kinderkriegen, damit kann man auch verschwinden.
Verheiratet ist Ari mit dem gutmütigen, harmlosen, spießigen Paul, der sie, so gut er kann, unterstützt. Sie liebt ihn, obwohl er langweilig ist, fühlt sich aber eingesperrt in der Monogamie:
Die Ehe ist hart. Man muss sich rund um die Uhr bemühen, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Der grausige, jämmerlche, verlogene Sack Scheiße, der man eigentlich ist, muss täglich niedergerungen werden.
Dann zieht im Haus nebenan die bekannte und hochschwangere Rocksängerin Mina ein, und Ari findet eine Verbündete. Doch die Frage in Aris Doktorarbeit wie in ihrem Leben ist: Können Frauen wirklich Freundinnen sein?
Elisa Albert macht’s derb. Sie scheut Tabuthemen nicht, im Gegenteil: Sie stürzt sich hinein. Und dann wühlt sie so richtig darin herum. In ihrem Roman Das Buch Dahlia nahm sie eine Krebserkrankung auseinander und beschäftigte sich eingehend mit dem Schrecken dieser Krankheit. In Ein Schnitt – dessen deutschen Titel ich genial finde – widmet sie sich mehreren Themen zugleich: dem Muttersein, dem Frausein, der Beziehung zwischen Frauen und Männern, der Beziehung zwischen Frauen und Frauen. Für alles, was gesagt wird, findet Protagonistin Ari harte, stark tabuisierte Worte, beispielsweise:
Ich hatte schon immer Mühe, zwischen Leuten zu unterscheiden, die mich hassen, und Leuten, die mich ficken wollen. Weil es da nämlich, wie mir irgendwann dämmerte, oft erhebliche Überschneidungen gibt.
Wer, wie ich, kein Problem mit einer so derben Sprache hat, wird nicht gleich verschreckt sein, aber: Auf Dauer ist das sehr anstrengend zu lesen. Ari ist eine Bitch. Sie lästert über jeden, am liebsten über andere Frauen, und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Für ihre Doktorarbeit beschäftigt Ari sich mit der Tatsache, dass Frauen einander die größten Feindinnen sind, sich gegenseitig manipulieren und es nicht schaffen, sich gegen die Männer zu behaupten, weil sie nicht zusammenhalten. Der Witz ist: Ari ist für ihre eigene Theorie der beste Beweis. Und das macht sie als Person schwer erträglich, genau wie das gesamte Buch. Es ist lustig, ja, schonungslos, ehrlich, entlarvend, aber es ist auch eine einzige, alles umfassende Hasstirade.
Ein Schnitt von Elisa Albert ist erschienen bei dtv (ISBN 978-3-423-26090-9, 216 Seiten, 15,90 Euro).