„Schon damals glaubte sie fest daran, dass es irgendwo auf der Erde eine bessere Art zu leben gab und dass sie sie finden würde“
Die Amerikanerin Nell Stone ist Ethnologin. Anfang der 1930er-Jahre erforscht sie gemeinsam mit ihrem Mann Fen verschiedene Stämme in Neuguinea. Die Arbeit ist gefährlich, die Eingeborenen sind den Weißen selten wohlgesonnen, Kannibalismus ist keine Seltenheit und die Malaria sucht sie mit Fieberschüben heim, von denen jeder der tödliche sein könnte. Aber Nell liebt das, was sie tut, es ist ihre Leidenschaft, ihr ganzes Leben. Sie freundet sich mit den Kindern an, baut Beziehungen zu den Frauen auf, lernt die Sprache.
„Im Grunde behindert die Sprache die Kommunikation, merke ich immer wieder, sie steht im Weg wie ein zu dominanter Sinn. Man achtet viel stärker auf alles Übrige, wenn man keine Worte versteht. Sobald das Verstehen einsetzt, fällt so viel anderes weg. Man beginnt sich ganz auf die Worte zu verlassen, aber Worte sind nur bedingt verlässlich.“
Nell ist hart im Nehmen, frei von Vorurteilen und wahnsinnig interessiert. Es ist jedoch nicht einfach, zu beurteilen, ob das, was die Frauen und Kinder ihr erzählen, auch tatsächlich die Wahrheit ist.
„Ich glaube, mehr als alles andere ist es die Freiheit, nach der ich in meiner Arbeit suche, in all diesen entlegenen Gegenden der Welt – nach einer Gruppe von Menschen, die einander den Raum geben, so zu sein, wie es den Bedürfnissen eines jeden entspricht.“
Schwieriger als der Umgang mit den Stammesangehörigen ist Nells Beziehung zu Fen. Er neidet ihr den Erfolg, sabotiert ihre Arbeit, gibt ihr allein die Schuld an ihrer Kinderlosigkeit. Er ist besitzergreifend und aggressiv. Fen will die „Wilden“ nicht erforschen, er will einer von ihnen sein.
„Nichts in der primitiven Welt schockiert mich“, sagt er, „Ich hatte schon immer einen Blick für die Barbarei unter dem Firnis der Zivilisiertheit. Sie liegt gar nicht tief unter der Oberfläche, egal, wo du hinkommst.“
Und dann begegnen sie Andrew Bankson. Der junge Forscher ist vor Einsamkeit derart ausgehungert, dass er Nell und Fen braucht wie ein Stück Brot. Aber auch sie brauchen ihn, als Gegengewicht, als Inspiration. Tief im malariaverseuchten Urwald entspinnt sich eine Dreiecksgeschichte, die letztlich gefährlicher ist als alles andere.
Ich mag, ganz platt gesagt, Bücher, bei denen ich etwas lerne. Die mir nicht nur Unterhaltung bieten, sondern auch ein Plus an Wissen. Darin kann ich mich so richtig verlieren, ein Aha-Effekt tritt ein, Information und Fiktion vermengen sich und sorgen für den perfekten Kitzel im Hirn. So ist Euphoria von Lily King. Inspiriert wurde das Buch von den wahren Ereignissen rund um die weltberühmte Ethnologin Margaret Mead. Die New York Times hat es 2014 unter die besten fünf literarischen Bücher des Jahres gewählt, und obwohl ich lange gebraucht habe, um in die Geschichte hineinzufinden, kann ich sagen: absolut zu Recht! Euphoria ist wild, ungezähmt, fantastisch und sehr ungewöhnlich. Die merkwürdigen, wechselnden Erzählperspektiven haben es mir anfangs schwer gemacht, dann aber wusste ich ihre originelle Aufstellung zu schätzen. Der Reigen aus Liebe und Neid, Gefahr, Fremdheit und Betrug ist wie ein wirbelnder Sturm, der mich mitgerissen hat, und er ist ebenso lehrreich wie unterhaltsam. Über Neuguinea der 1930er-Jahre wusste ich nichts, über die Feldarbeit der damals lebenden Ethnologen wenig. Ihnen standen nicht im Geringsten die heutigen Mittel zur Verfügung, und sie waren, natürlich, nicht frei von menschlicher Gier. Etwas abrupt kommt in meinen Augen der Schluss daher, was ich schade fand – denn kaum waren meine Anfangsschwierigkeiten überwunden, wollte ich gar nicht mehr, dass der Roman zu Ende geht. Euphoria ist spannend und sinnlich, faszinierend und fantasievoll. Ein Buch über Begierde, Macht, die Unterschiede zwischen den Kulturen und den Tod. Ihr solltet es unbedingt lesen.
Euphoria von Lily King ist erschienen bei C. H. Beck (ISBN 978-3-406-68203-2, 262 Seiten, 19,95 Euro). Eine begeisterte Besprechung findet ihr auch bei Mara.
Oh, ich mochte das Buch auch sehr. Im Herbst erscheint ein neuer Roman von Lily King, darauf freue ich mich schon.
Das Buch hört sich toll an, es kommt gleich auf meine Wunschliste!
Hurra!
Oh, danke für die Info, gut zu wissen! Ist es wieder sowas Außergewöhnliches?
Eine Vater-Tochter-Geschichte offenbar. Also nichts so Exotisches. 🙂
Schade…
Liegt schon hier und ich freue mch sehr darauf 🙂
Yeeeah!
Das Buchcover sieht schon mega gut aus <3 <3
Find ich auch!
Ich hatte das Buch schon länger im Auge, jetzt kommt es endgültig auf die Wunschliste!
Hurra!
Das Buch steht schon recht lange auf meiner Wunschliste und ich bin, was eher selten vorkommt, durch das wunderschöne Cover auf das Buch aufmerksam geworden. Auf jeden Fall eine tolle Rezension!
Ja, ich finde das Cover auch sehr gelungen! Und das Buch ist wirklich lesenswert.
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