Für Gourmets: 5 Sterne

Sabrina Janesch: Katzenberge

“Was, wenn Dämonen, wie Sprache oder Land, vererbbar sind?”
„Malerisch hatte ich mir Ostpolen vorgestellt, unverfälscht und verzaubert. In Wirklichkeit war es nass, dreckig und fremd.“ Nele ist auf der Suche nach den Spuren ihres Großvaters, die er vor so vielen Jahrzehnten in Ostpolen und über die Ukraine hinaus hinterlassen hat, dass sie vielleicht längst nicht mehr sichtbar sind, überlagert von den Spuren jener, die seither seinen enteigneten Hof bewirtschaftet haben. Als junger Mann musste er fortgehen, wurde vertrieben von den Ukrainern, und den Rest seines Lebens verbrachte er in Schlesien, im ehemaligen Haus eines Deutschen, der wiederum selbst davongejagt worden war. Und so lebte hier wie dort jeder in der Furcht, es könnte jemand kommen und Grund und Boden zurückverlangen. Nele hing sehr an ihrem Djadjo und besuchte ihn, so oft es ihr Leben in Berlin zuließ, wo sie in einer Redaktion arbeitet und mit dem gefühlskalten Carsten zusammenwohnt. Als ihr Großvater stirbt, stellt Nele fest, dass er ihr viele Geschichten erzählt hat, die eigentlichen Fragen aber stets offen geblieben sind. Warum ist er nie nach Galizien zurückgekehrt? Was ist wirklich geschehen zwischen ihm und dem opportunistischen Bruder? Nele entbindet sich kurzerhand selbst von ihren Verpflichtungen und wagt ganz allein die Reise an einen Ort, an den keine Verkehrsmittel mehr fahren, an dem niemand auf sie gewartet hat und sich doch alles zusammenfügt.

Sabrina Janesch ist eine talentierte junge Autorin, die für ihren ersten Roman Katzenberge zu Recht von der Kritik bejubelt wurde. Die Geschichte an sich ist nicht neu: Eine junge Frau sucht nach dem Tod ihres Großvaters nach dessen Wurzeln. Und weil sie nicht neu ist, muss sie gut geschrieben sein. Wie in diesem Fall. Schon nach wenigen Seiten nimmt mich der melancholische, erstaunlich ausgereifte, leicht spitzbübische Erzählton gefangen. Ich folge der Ich-Erzählerin Nele auf ihrer außergewöhnlichen Reise in eine, nein, gleich zwei Gegenden, die ich nicht kenne und mit denen mich nichts verbindet: Schlesien und Galizien. Mein Interesse an der Geschichte und an den Menschen dieser mir fremden Regionen ist groß, und anhand von Neles Reise sowie den Berichten ihres Großvaters erfahre ich viel Wissenswertes. Krieg und Vertreibung, die gekappte Verbindung zur eigenen Erde, nach der die Seele sich noch Jahrzehnte später sehnt – das sind die Stoffe, aus denen Katzenberge gewebt ist. Mit ihrer sprunghaften, eigenwilligen, liebenswerten Protagonistin Nele, die ankerlos zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her getrieben wird, hat Sabrina Janesch eine Figur geschaffen, die eine Auflösung bringen, die Frieden wecken kann. Denn sie ist die Antwort auf alte Feindschaften, sie vereint als Kind einer polnischen Mutter und eines deutschen Vaters die alte Verbitterung mit der längst fälligen Versöhnung. „In mir habe alles zusammengefunden: das galizische Blut meiner Großeltern, die kommen musste, und das deutsche Blut der väterlichen Familie, die gehen musste.“

Durch Neles Augen sehe ich ihren Großvater, einen resoluten, abergläubischen, starken Mann, der in den richtigen Momenten liebevoll sein konnte. Sehr eindrucksvoll hat die Autorin diesen Menschen und seine Beziehung zu anderen – wie der Enkelin – beschrieben. Ebenso plastisch schildert sie mir die Landschaft, die Orte, die Menschen, sodass ich den Duft aus der Küche wahrnehmen kann, in der Speisen gekocht werden, die ich nie gekostet habe, dass ich die Sprache hören kann, die ich nicht verstehe, dass ich die Schicksalsgläubigkeit erkennen kann, die mich befremdet. Bildreich, aber gleichzeitig schlicht ist Sabrina Janeschs Sprache, nicht zu verschnörkelt, dafür aufgeladen mit vielen Zwischentönen, die man erspüren muss. Sie hat ein meines Erachtens ausgelutschtes Thema gewählt, es aber so glanzvoll umgesetzt und in einer so interessanten geschichtlichen wie geografischen Umgebung platziert, dass daraus ein lesenswerter, überzeugender, stilvoller Roman geworden ist. Grandios!

Durchgekaut und einverleibt. Von diesem Buch bleibt:
… fürs Auge:
schön alt.
… fürs Hirn: viel zu lernen! Über Galizien, Schlesien, die Kriege, die Deutschen, die Polen …
… fürs Herz: Neles Liebe zu ihrem Großvater.
… fürs Gedächtnis: am meisten das Ende, das mich überrascht hat, das aber so gut passt und so klug ist, dass es mich zufrieden schmunzeln ließ.

11 Comments to “Sabrina Janesch: Katzenberge”

  1. Nun habe ich es auch endlich gelesen, und mein Eindruck deckt sich mit deinem: ein wundervolles Buch, das ein altbekanntes Thema behandelt, aber – vor allem stilistisch – auf derart kluge, originelle, geistreiche Weise, dass es absolut verdient, aus der Masse herausgepickt und gelesen zu werden!

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