Drei Leben, verbunden durch eine große Traurigkeit
Zsuzsa Bánk hat für ihr Erstlingswerk Der Schwimmer allerbeste Kritiken bekommen – zu Recht, wie ich finde. Ich-Erzählerin Kata ist noch ein junges Mädchen, als ihre Mutter die Familie verlässt und aus Ungarn flieht. Zusammen mit ihrem kleinen Bruder Isti und ihrem Vater Kálmán zieht Kata daraufhin ziellos durch das Land. Die drei kommen bei verschiedenen entfernten Verwandten unter, die sie mehr oder weniger gern aufnehmen. Sie freunden sich mit neuen Menschen an, sie lassen sich nieder – nur um erneut aufzubrechen. Am besten gefällt es ihnen in einem kleinen Ort am See, wo sie längere Zeit bleiben. Isti liebt das Schwimmen und beide hängen sehr an ihrer Cousine Virág. Die Kinder gehen nur sporadisch in die Schule, der Vater kümmert sich kaum um sie. Besonders Isti verliert sich immer mehr in einer anderen Welt, er hört, was gar kein Geräusch macht, und spricht nur wenig. Über die verschwundene Mutter redet niemand – und doch denken alle nur an sie.
Dieses wunderbare Buch ist durchtränkt von einer großen Traurigkeit. In einer unvergleichlich schönen Sprache erzählt Zsuzsa Bánk von drei einzelnen Menschen, die eine Familie sein sollen und doch keine sind, weil die Verbindungen zwischen ihnen durchtrennt wurden. Der Vater und seine beiden Kinder haben kein Zuhause mehr, weder innen noch außen. “Ich hatte das Gefühl”, sagt Kata, “Isti und ich, wir waren bloß zwei Zusätze, die an unserem Vater, an seinem Leben klebten und die er nicht mehr loswurde.” Der erschütternde Schluss wirkt erst übermäßig tragisch, doch eigentlich kann ein solcher Roman gar nicht anders enden. Und obwohl so viel erzählt wird, ist Der Schwimmer ein Buch, das vom Ungesagten lebt, von den leisen Zwischentönen, von den Gefühlen. In der Mitte des Buchs erfährt man auch, was mit der Mutter von Kata und Isti geschehen ist, wohin es sie verschlagen hat. Hier kippt die Perspektive ins Schräge, weil die Ich-Erzählerin über die Worte ihrer Großmutter von ihrer Mutter berichtet – so detailreich, wie keine der beiden davon wissen kann. Das ist wunderbar, originell und schön zu lesen.
In Der Schwimmer steht weniger die Handlung und mehr die Sprache im Vordergrund. Zsuzsa Bánk bedient sich kleiner Begebenheiten, um ein großes Ganzes zu schildern. Der Ton ist entspannt und freundlich, der Inhalt traurig und melancholisch. Dies ist der Bericht von zwei Kindern, die anders sind, weil sie zerbrochen sind. Es geht um Verlassenwerden, um Familienbeziehungen, um das Kindsein und ums Schwimmen. Ein großartiges Buch.
Ich habe eine Frage. Wo im Buch ist die oben erwähnte Textpassage zu finden?
„Ich hatte das Gefühl“, sagt Kata, „Isti und ich, wir waren bloß zwei Zusätze, die an unserem Vater, an seinem Leben klebten und die er nicht mehr loswurde.”
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